An der kalifornischen Küste

Morro Bay

Ein zarter Nebel streicht noch um den grossen Fels vor der Bucht. Der frische Wind ist kühl und trägt die verlorenen Rufe der Seehunde zu mir her. Mit dem letzten Dunkel der Nacht wirkt der Ozean unter der Nebeldecke fast bedrohlich. Irgendwo klatschen weisse Kronen an Steine. In der Bucht ist das Wasser derweil gezähmt und plätschert unschuldig verspielt um die Muschelschalen. Der ganze Strand besteht hier aus diesen weissen Muschelschalen, gelegentlich etwas Seegras, bevor er weiter drüben in Sanddünen und Felsen übergeht. Meine Schritte knirschen, ein Gehen wie auf Porzellanscherben.

Um die kahlen Masten der leicht schaukelnden Schiffe kreisen Pelikane. Schwerfällig, ohne die Anmut der Adler: Zwischen breiten Schwingen hängt ein dicker Bauch, den Kopf eingezogen. Wenn sie vorüberfliegen hörst du das Rauschen des kraftvollen Flügelschlags. Erst wenn sie unvermittelt hinabstechen und mit Wucht das Wasser durchbrechen, erinnern sie kurz an Adler. Ob sie den Fisch gefangen, lässt sich von hier nicht sagen. Nur ein Staunen, wie sich diese plumpen Vögel wieder mit viel Mühe in die Luft erheben, eine Miene tragend als wäre mein beobachtender Blick eine freche Einmischung in Geschäfte, die mich nichts angingen.

Viel lieber aber schaue ich den Seehunden zu, die von unten herauf jagen. Ihr flinkes Spiel mit den Fischen bleibt zwar weitgehend verborgen. Nur dann und wann springt ein Fischlein aus dem Wasser und ein Seehund hinterher. Wasserringe bleiben zurück und verlieren sich noch bevor sie meinen Muschelstrand erreichen. Wenn du Glück hast, dann winkt dir ein Seehund auch einmal zu, um gleich darauf wieder zu entschwinden, fast so als spielte er verstecken mit dir. Ein paar Kulleraugen, die aus dem Wasser herauslugen: Ich bin nicht der einzige, der hier beobachtet.

Als ein Fischerboot vorbeituckert, wende ich mich schliesslich ab und mache mich auf den Weg, meine Glieder bei einer heissen Tasse Tee wieder aufzuwärmen. Die Sonne wird derweil die Nebeldecke sachte wegheben, die kühle Stille weicht langsam einem ruhigen Sommertag. Zeit hat in dieser Bucht keine Bedeutung.

Peggy Sue’s Wüsten-Inn

Das Tal ist ziemlich flach, nur sanft erheben sich Hügel rundum, alle in hellen Sandbraun, dazwischen die trockenen Büsche, die für diese Wüste typisch sind. Schon beim Aussteigen schlug uns die enorme Hitze und das grelle Sonnenlicht entgegen. Im Garten von Peggy Sue’s Inn der 50er Jahre brütet ein Spielplatz vor sich hin. Dinosauriern nachempfundene Schaukeln und Rutschen wirken in der unerbittlichen Mittagshitze zynisch grausam, der Sandkasten im trockenen Wüstensand grenzt an blanke Ironie. Eine staubbedeckte Landstrasse führt am Parkplatz vorbei, von alten Telefonmasten begleitet, und verliert sich in der Distanz über einer Hügelkuppe. Nicht einmal Grillen hörst du hier, höchstens das Brausen der Autobahn.

Der Eingang zu Peggy Sue’s Inn ist einer alten Jukebox nachempfunden. Die Farben wirken im Wüstenlicht aber blass und kraftlos. Nach der Tür müssen sich unsere Augen zuerst einen Moment ans eigentlich angenehme Dämmerlicht gewöhnen. Die Räume sind niedrig, eng und lebendig. Etwas verloren stehen wir noch im Türrahmen zur kleinen Bar, als uns eine Kellnerin über die Theke zuruft, wir sollen uns setzen, wo auch immer wir mögen. Das kleine Restaurant ist allerdings mit Gästen so vollgestopft, dass ich mich des Vergleichs mit einem Cinquecento voller Italiener nicht erwehren kann. “Setzt euch einfach irgendwo,” ruft sie erneut. “Tschuldigung, ich müsste hier mal durch” — “Kann ich noch eine Cola haben?” — “Unser Ketchup ist alle!” — “Wer hat den Elvis-Burger?” — “Sorry, dürfte ich mal…” — “Einfach setzen, wir kommen dann schon.” Ein paar Touristen drängen sich an uns vorbei, zwängen sich durch die viel zu kleine Tür und verschwinden schliesslich durchs gleissende Licht in der Hitze des Nirgendwos.

Nach einiger Zeit entscheiden wir uns für zwei Plätze an der Bar und setzen uns neben spanische Touristen, die mit der Kamera rumspielen. Hinter der Theke sind, eingequetscht zwischen übergrossen Ketchup-Kübeln und Regalen voller nicht mehr ganz durchsichtiger Gläser, Apfelkuchen ausgestellt, die mit ihrer offensichtlichen Matschigkeit einen nur allzu grossen Kontrast zur trockenen Wüste bilden. Dazwischen überall Schilder und Bilder. “Unbeaufsichtigte Kinder werden kostenpflichtig abgeschleppt.” Der Hinweis, dass hier die besten Burger der Stadt serviert würden, ist allerdings nur mit einer gehörigen Prise Humor zu verstehen. Nicht nur, dass das kleine Restaurant mit der alten Ruine nebenan wohl kaum eine Stadt bilden dürfte, die Theke klebt auch gleich am Arm fest und die Menükarte ist schmudelig genug um im Notfall wohl selbst Nährwert zu haben. Glücklicherweise haben wir nebst Hunger die nötige Prise Humor und Abenteuerlust dabei und entscheiden uns für einen Humphrey-Bogart-Burger, der einiges besser schmeckt als das Restaurant aussieht. Die eigentliche Kunst besteht aber darin, Hemd und Sauce trotz der durch die Enge bedingten ständigen Rempelei voneinander fern zu halten.

Fast Food bekommt hier, mitten in der Wüste, eine völlig neue Bedeutung. Trotz des Schildes über der Theke, nur lächelnde Gäste würden bedient, lässt man höfliche Floskeln hier drin schnell fallen. Die Kellnerinnen sind so schnell unterwegs, dass sie schon lange wieder entschwunden sind, ehe man sein Sprüchlein “Ich hätte gerne…” aufgesagt hat. Kommunikation verkommt zu wenigen Handzeichen und Zwischenrufen. Dann drängt sich wieder jemand vorbei, ein Moment lang fällt grelles Licht durch die Türe. Als wir zum inzwischen schön warmen Auto zurückkehren, schaue ich mich nochmals um und wundere mich darüber, wie in dieser Abgeschiedenheit, so weit fernab, ein solches Wuseln herrschen kann. Vielleicht, so denke ich mir, vielleicht ist es halt doch eine Stadt: Eine Stadt, die voll und ganz in diesem einen Diner lebt.