Der erste Tauchgang

Für Sandra

Ich muss wahnsinnig sein! Nachdem ich den Kindern geholfen habe, ihr Zeug auf das Boot zu packen, klettere ich selbst ziemlich unbeholfen hinein. Ich bin mir die enge und einengende Kleidung nicht gewohnt. Dann werden auch die Badegäste schon immer kleiner und bald sind nur noch die farbigen Sonnenschirme zu sehen, davor kahle Masten; als wär’s Winter.

Vom Schiff aus sehe ich unerreichbare Teile der Insel und fühle mich bei den Felsen an die Alpen erinnert. So sähe es also aus, wenn das Toggenburg unter Wasser stünde und nur einige Kurfirsten noch überlebten. Einmal ein einzelner Schrei einer Möwe, ansonsten höre ich nur das stetige Brummen des Motors und das Fliehen des Wassers unter dem Schiff. Alpen hin oder her: Ich muss wahnsinnig sein.

Die zwei Kinder sind aufgeregt, können’s kaum erwarten. Ich decke eine andere Bedeutung von „aufgeregt” ab. Schliesslich schnürt mir der Bleigürtel fast die Luft ab: Muss wohl so sein. Zusammen mit der Flasche auf dem Rücken und den Flossen an den Füssen kann ich auch mit viel Optimismus nicht mehr ans Wegrennen denken. Flüchtig denke ich noch an die Unbeholfenheit einiger Wasservögel an Land.

Schliesslich geht’s los: Die Maske halten und einfach nach hinten fallen lassen. Hoffentlich kommt mein Magen auch mit. Das Meer ist warm, weich. Ich rudere orientierungs- und hilflos. Wo ist oben? Die Füsse wollen nicht: Da sind Flossen dran. Wo ist oben? Was ich mir überlege: Zählen meine Drehungen nun eher als Salto oder als Purzelbaum? Leider hiflt das wenig: Wo ist oben?

Endlich die helfende Hand des Instruktors. Gierig schnappe ich nach Luft – ohne Mundstück. Flossen und Beine schwimmen selber irgendwo. Mit Kontrolle hat das ganze wenig zu tun. Wo mein Magen ist, weiss ich auch nicht. Dafür, wo oben ist. Noch einmal tief durchatmen, dann kann’s losgehen. Der Leine entlang nach unten. Immer gut festhalten. Schön langsam.

Ich krieg keine Luft. Wenn mir doch nur einfallen würde, was uns der Instruktor vorhin erklärt hat. Panik. Das Atemgerät funktioniert nicht: Meine Atemluft schwebt in Blasen an meiner Nase vorbei nach oben. Panik. Ich folge den Blasen, ziehe mich an der Leine zurück an die Luft. Und das soll schön sein? Dafür Gewissheit: Ich bin wahnsinnig.

Der Instruktor lacht wohlwollend. Wenn ich so schnell atme, reiche mein Tank wohl tatsächlich nicht lange. Tatsächlich: Ich atme etwa im Trance-Rythmus. Also nochmals von vorne. Schön langsam: Dieses Mal auch die Atmung. Noch einmal schlägt das Wasser über mir zusammen. Geist über Materie: Nur ans Atmen denken. Da ist auch mein Magen wieder dabei: flau. Einfach atmen!

Noch immer kämpfe ich mit einer Panik im Magen. Keine Ahnung, wie ich das je überleben soll. Immerhin kriege ich grad noch genug Luft, um nicht zu ersticken. Doch: Weglaufen wäre trotz allem die bessere Option gewesen. Ich will meinen Instruktor nicht enttäuschen und gebe das Zeichen für „go”. Was um alles in der Welt tu ich nur da? Atmen! Nicht denken, atmen!

Ich halte mich am Instruktor fest. Gemeinsam schweben wir über den steinigen Grund. Ok, genug gesehen: Ich will wieder zurück. Die Kinder wollen ja auch noch. Weiter geht’s. Immerzu atmen. Verstopfte Nase, Salzwasser in den Augen. Wieder Panik, ich will nach oben. Erstaunlicherweise verstehe ich den Instruktor: Langsam durch den Mund atmen. Irgendwie überlebe ich.

Da, ein Fisch. Direkt vor unserer Nase. Immerzu atmen. Wir sind in etwa drei Metern Tiefe, rundum grünes Wasser, von oben ein gelblicher Schimmer. Nach und nach öffnet sich mir die Welt hier unten. Atmen. Noch ein Fisch. Und dann sehe ich’s: In allen Farben und Formen schwimmen sie hier herum. Alleine, in Schwärmen. Grossartig! Das also ist die Faszination vom Tauchen!

Eine neue Welt öffnet sich: Nach dem Tauchkurs

Wasser spritzt mir ins Gesicht, der Wind weht mir durch die Haare und füllt meine Nase mit frischer Meeresluft. Wir halten auf Korsika zu. Links am Horizont die Insel Monte Christo, über uns endloses Blau. Die Sonne sitzt darin und trocknet mich wohlig warm. Ich geniesse die Fahrt, bin’s zufrieden.

Wie es unter Wasser so ist, fragst du? Lass mich eine Antwort versuchen, aber sei nachsichtig, wenn das Bild im Vergleich zum Erlebten blass bleiben muss.

Ein letzter tiefer Atemzug, dann lässt du dich langsam absinken und schwebst bald weich umspült im bläulich-grünen Meer. Um dich her wogt golden verspielt das Sonnenlicht, und mal sanft, mal schroff ragen Hügel und Felsen empor. Gemächlich wie ein Wal treibst du darüber hinweg, siehst den Grund leben und entdeckst einen Einsiedlerkrebs, der an langstieligen Augen unter seiner Muschel hervorlugt.

Als du näher kommst, löst sich die Wolke vor dir zu einem Fischschwarm auf. Der Schwarm lässt dich hindurchschwimmen und jeder Fisch wirft dir sein eigenes Licht zu, in einer überwältigenden Vielfalt an Farbtönen und Schattierungen. Und dann und wann ein silbernes Blitzen. Vielleicht erinnert dich das Lichtspiel an einen Schwarm Schmetterlinge, die in der Abendsonne tanzen.

Schliesslich schwebst du weiter, kehrst an die Oberfläche zurück und wirst die frische Meeresluft in deiner Nase begrüssen. Aber wenn sich die Sonne das nächste Mal funkelnd in den Wellen bricht, dann wirst du vielleicht mit einer sehnsüchtigen Ahnung daraufblicken, im Wissen dass das wahre Schauspiel darunter verborgen liegt.