Am Abend

Knapp über dem Hügel konkurriert der Vollmond mit den milden Farben einer bereits verlorenen Sonne im Westen. Schon von ferne rieche ich das Wasser, das Meer. Wie unsere Seen, nur stärker, intensiver. Ein kräftiger Nordwind treibt weisse Gischt zu uns rüber, schlägt sie an die Felsen der Hafenfestung und lässt sie in tausend Stücke zerspringen.

Die Vielfalt der Küste in diesem kleinen Fischerdorf ist beeindruckend. Wellen tragen die Steine am Kiesstrand weiter empor, um sie gleich darauf mit einem Rasseln wieder hinunterkullern zu lassen. In der Dunkelheit fast unsichtbar bleibt nur das Geräusch: Der Strand als akkustisches Erlebnis. Davor die Promenade voller Flanierender und Kinder, die der Szene ein besonderes Leben einhauchen.

Etwas weiter drüben dann führt ein kleiner Weg in Kopfsteinpflaster eng zwischen den Häusern empor auf die Klippen. Im Boden sind Steine in Fischform eingelassen. Ich entdecke kleine Piazzas mit Bänklein und regungslose Katzen zwischen Blumentöpfen auf den Mäuerchen, kaum sichtbar im fahlen Licht der wenigen Laternen. Zweifelsohne ist das der Ort, wo Märchen und Träume entstehen.

Auf dem Vogelweg

Überall wilder Basilikum: Hier wächst er in grossen Sträuchern. Dazwischen andere Kräuter, die ich zwar nicht bezeichnen kann, aber nicht weniger zum würzigen Duft beitragen. Wie ich den alten Steinmauern entlangschreite, verstecken sich einige Eidechsen flink, manchmal nur ein Rascheln im trockenen Gras. Brombeerranken halten mich fest, reissen an meiner Hose und doch folge ich weiter dem schmalen Weg, dessen Schilder schon in Vergessenheit zu geraten drohen.

Weit unter mir bereits das kleine Fischerdorf, ein phänomenaler Blick auf das Meer und die nahe Küste des Festlands. Im Schatten einiger Olivenbäume ruhe ich mich aus, ehe ich weiter der mediterranen Sonne trotze. Das Gezwitscher rundum lässt mich erahnen, woher der Name »Vogelweg« kommt. Ab und zu brummt ein Insekt an mir vorbei und verleiht der sengenden Hitze für kurze Zeit eine Stimme. Dann wieder die Vögel und immernoch der starke Geruch von Basilikum.

Schliesslich bietet mir das kleine Wäldchen eine wohlige und wohlverdiente Kühle. Halb überwachsen entdecke ich zerfallene Häuser und einen Weg, den die Sträucher und Gräser schon lange zurückerobert haben. Ein letztes Mal atme ich durch und geniesse den weiten Blick, ehe ich zwischen den Bäumen absteige und schliesslich zurück ins Fischerdorf gelange, als wäre nie etwas geschehen.

Im Hafen

Schiffe kommen und gehen. Ich sitze in einem Strassencafé, gleich neben mir schlagen die Wellen sanft an die steinige Küste. Knapp zehn Meter weiter weichen die Steine dem Sand. Kinder planschen dort im seichten Wasser. Hier unter dem Baum wirkt die Sonne gutmütig. Der frische Pfirsichschnitz in meinem Eistee lässt mich lächeln.

Schiffe kommen und gehen. Zittrig steht der Junge auf das Surfbrett und stellt vorsichtig das Segel auf. Der gleiche Windstoss, der meine Serviette fortträgt, wirft den Jungen mitsamt Segel ins Wasser. Zurück auf dem Brett, fischt er nach dem Segel und stellt es mit ganzer Kraft wieder auf. Noch unbeholfen zieht er los, ehe ihm ein neuer Windstoss das Segel erneut aus der Hand reisst. Mit viel rudern bleibt er stehen und balanciert auf dem schmalen Brett.

Schiffe kommen und gehen. Ein ruhiger Nachmittag im Fischerdorf. Als ich mit meinem belegten Brot fertig bin, segelt der Junge munter den Hafen auf und ab. La vita è bella.

Den Berg hinauf

Als ich zurück ins Tal absteige, kommt mir ein alter Mann entgegen. Schlohweisse Haare, ein Stock hilft ihm beim Gehen, das Lachen kommt von Herzen. »Jaja, hinab geht’s immer einfacher als hinauf.«

Dabei war der Aufstieg unter der italienischen Nachmittagssonne anstrengend. Brombeerranken versperrten den Weg und hielten mich immer wieder fest. Dann im vertraut würzigen Duft eines Kiefernwaldes. Ab und an der Blick die steilen Klippen hinab auf eine Bucht. Darin eine Segelyacht, Menschen am schwimmen. Schliesslich folgte ich dem Pfad durch niedrigere Haine, begleitet von Schmetterlingen und einer Libelle.

Im malerischen Bergdorf fand ich einen kleinen Laden. Das Licht war fahl, es roch nach altem Staub und die Dosen in den Wandregalen hätten aus den Jugendjahren meiner Grosseltern stammen können. Hinter der Theke eine italienische Mamma: mütterlich reichte sie mir eine Flasche gekühltes Wasser und schickte mich schliesslich wieder auf den Weg, zurück in die Gegenwart, und zurück ins Tal.

Ebenso lachend entgegne ich dem Alten, dass ich den Aufsteig schon hinter mir hätte und so kommen wir kurz ins Gespräch. Dann setze ich meinen Abstieg fort, höre noch eine Zeit lang das Tocken seines Stocks, und trage die Begegnung im Herzen mit ins Tal. Lächeln und mit den Menschen sprechen können: Ist das nicht auch ein Glück?

Bei den Schmetterlingen

Wieder ein Aufstieg durch den Wald. Der Weg ist breit und oft begangen, bis er in eine kurze Allee mündet. Uralte knorrige Bäume, die Stämme teilweise hohl und so verdreht, dass dich wundert, das feine Laub noch wachsen zu sehen. Ganz am Ende ragt der Turm einer kleinen Kirche längst vergangener Tage.

Durch das Blätterdach mag uns die brennende Sonne hier nicht schrecken. Ein paar Vögel zwitschern, dazu der starke Duft des Waldes. Eine Steintafel erzählt uninteressantes über den einstigen französischen Feldherrn.

Gleich hinter der Kirche führt ein schmaler Durchgang in einen kleinen Garten. Die hohe Mauer ringsum ist verwittert, nur schwach lässt sich eine vergessene Steinhaukunst erahnen. Irgendwo plätschert sachte Wasser. Der Garten ist gerade gross genug, um drei Hortensiensträuchern Heimat zu bieten. Von oben fällt Sonnenlicht darauf wie goldener Regen. Auch hier der würzige Waldduft und du glaubst, sogar die alten Steinmauern riechen zu können.

Ich setze mich zwischen den Hortensien auf eine Steinbank und schaue dem Spiel der Schmetterlinge zu. Dazwischen brummt eine Hummel, unbeeindruckt vom Besucher zwischen den Blüten. Ein Schmetterling ruht sich auf meiner Hand aus und lässt die Zeit vollends stillstehen, ehe er weiterflattert und im verzauberten Lichtspiel entschwindet.

Nur ungern gehe ich weiter. Und doch trage ich erneut Bilder mit, die noch lange nachklingen und auch im Herzen nicht aufhören, zu sein.

Marciana Alta

Wir folgen dem engen Gässlein des Bergdorfes. Über uns wirft die Abendsonne scharfe Schatten an die Wände. Hortensien und Kakteen leben hier in ihren Töpfen, die Wäsche daneben hängt nur zum trocknen hier, duftet aber mit. Nach einer weiteren Treppe mündet die Gasse in einen Platz, überragt von den alten Ästen eines majestätischen Baumes. Die Steinbänke darunter laden zum Verweilen ein.

Später stossen wir auf einen Barbier, konzentriert über den eingeschäumten Mann auf dem Stuhl gebeugt. Er wischt kurz das Messer ab ehe er einen neuen Teil des Gesichts aus dem weissen Schaum herausschält. Zwischendurch ein sachtes Hämmern. Zwei Schuhmacher sitzen vor ihrem Laden und schneiden Leder zu, als wir näher kommen.

Nach der nächsten Ecke füllt ein süsslich-fruchtiger Duft die Gasse. Das Fenster der Confituria steht offen und so schauen wir ihm eine Weile bei der Arbeit zu. Im eleganten Kellergewölb nebenan begrüsst uns lächelnd eine kleine Dame in Schürze. Eine Degustation der besonderen Art: Wir lassen unsere Gaumen verwöhnen und uns erklären, dass sich Melone-Pepperoncini am besten mit Käse kombiniert.

Dann ist es Zeit zu gehen. Bei einem tiefen Atenzug lasse ich meinen Blick noch einmal über das Tal schweifen, verabschiede mich von der Insel und verspreche ihr heimlich, wiederzukommen. Mit einem Ruck fahren wir los.